Asynchrone Entwicklung hochbegabter Kinder
oder
Schreiben ist doof!
„Boah langweilig!“
„Warum soll ich das denn alles dahinschreiben, das kann ich doch auch im Kopf rechnen“
„Immer das Gleiche, können wir nicht auch mal was interessantes schreiben?“
Der Stift fliegt!
„Ich mache das nicht!!!“
„Ich will nicht!!!“
Hausaufgaben mit deinem Kind sind so anstrengend? Du bist täglich regelrecht genervt?
Du hast dir eigentlich vorgenommen, dich bei den Hausaufgaben ganz rauszuhalten. Aber wie soll das gehen, bei so viel Theater und Frust. Das Kind ohne Hausaufgaben in die Schule zu schicken ist keine Option für dich. Die Lehrerin soll auf keinen Fall denken, du würdest es nicht schaffen dein Kind gut durch die Schule zu begleiten. Und auch die anderen Kinder bekommen das ja mit und erzählen es zu Hause. Was denken dann nur die anderen Eltern von dir?
Aber du kannst auch dein Kind verstehen. Immerhin weiß die Lehrkraft von seiner Hochbegabung. Herausfordernde Texte und Aufgaben um Schreiben zu lernen bekommt dein Kind aber nicht. Sie ist der Meinung: „Eine gute Handschrift ist wichtig für einen guten Schulerfolg und diese kann dein Kind an den gleichen Aufgaben üben, wie alle anderen Kinder auch.“
Wenn du dir die Handschrift deines Kindes anschaust, stellst fest, dass diese nicht wirklich ordentlich ist. Schon im Kindergarten hat dein Kind nicht gerne gemalt oder ausgeschnitten. Malen liegt ihm halt nicht und wird wohl nie zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehören. Aber dann wird er halt Arzt. Ärzte schreiben auch nicht in Schönschrift und ihr Gekrakel kann auch niemand lesen.
Du denkst, wenn die Lehrkraft endlich einmal herausfordernde Aufgaben stellen würde, damit sich dein Kind intellektuell austoben kann, würde es sich auch anstrengen ordentlicher zu schreiben, denn dann würde es auch Spaß daran haben.
Asynchrone Entwicklung oder Unterforderung?
Eine der häufigsten Ursachen für Underachievment ist eine asynchrone Entwicklung der Feinmotorik. Wenn der Kopf schneller denkt, als die Hand schreiben kann. Die ersten Anzeichen zeigen Kinder manchmal schon im Kleinkindalter bei ihren ersten Malversuchen. Im Kopf haben sie ein klares Bild davon, wie das Objekt welches sie malen wollen auszusehen hat aber ihre Hand ist noch viel zu ungeübt, um dieses Bild künstlerisch so umzusetzen. Dies führt bei manchen hochbegabten Kindern zu einem hohen Frust. Das kommt daher, dass hochbegabte Kinder in der Lage sind die Diskrepanz von ihren intellektuellen Fähigkeiten und ihren motorischen Fähigkeiten voll zu erfassen. Was allerdings fehlt, ist das Metawissen um die eigenen motorischen Fähigkeiten und deren Entwicklung. Ebenso fehlen diesen Kindern vom Alter her noch emotionale Strategien, um mit dem entstandenen Frust angemessen umzugehen. Die Enttäuschung hat oftmals Auswirkungen auf das sozial-emotionale Verhalten und die Motivation. Das Malen wird oftmals ganz aufgegeben und auch andere Aufgaben mit Stiften und Schere werden so gut es geht vermieden. Dadurch entwickelt sich die Feinmotorik des Kindes nicht altersentsprechend weiter und die Schere der Asynchronie vergrößert sich noch mehr. In der Schule führt dieses gerade bei Schreibaufgaben zu erheblichem Frust. Und können sich die Kinder in der Schule noch zusammenreißen und die Aufgaben bearbeiten, lassen sie spätestens bei den Hausaufgaben allen Ärger raus.
Apelle an die Vernunft überfordern das Kind in diesem Fall. Sie führen eher sogar zum Gegenteil, das Kind gerät in Zorn und seine Beschimpfungen bekommen meist die Mütter mit. Diese heftige Reaktion ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit und einer massiven Enttäuschung. Der Wunsch ist meist die Aufgabe gut hinzubekommen aber die Ausführung durch die vorhandene Feinmotorik entsprechen diesem Wunsch noch nicht.
Die Heftigkeit der Reaktion des Kindes ist kein Zeichen von emotionaler Unreife, sondern eher ein Temperamentsmerkmal. Da auch das Temperament erblich bedingt ist, solltest du als Elternteil in der Familie schauen, woher das Temperamentsmerkmal kommt und wie diese Personen gelernt haben sich selbst zu regulieren.
Noch mehr asynchrone Entwicklungen?
Auch im sozial-emotionalen Bereich finden sich Hinweise auf eine asynchrone Entwicklung.
Viele hochbegabte Kinder haben ein großes Interesse am Weltgeschehen und können kognitiv diese Inhalte auch erfassen. Aber oft fehlen ihnen aufgrund ihres Alters Strategien im Umgang mit den entstehenden Emotionen wie Angst und Trauer bei Themen wie Krieg, Gewalt und Tod.
Auch im Umgang mit anderen Kindern sind sie manchmal überfordert, da sie als hochbegabtes Kind in der Lage sind Handlungen weit im Voraus zu planen. Da aber die meisten Gleichaltrigen dem hochbegabten Kind nicht folgen können, wenden diese sich manchmal kommentarlos ab und das hochbegabte Kind steht alleine da. Dieses versteht natürlich das hochbegabte Kind nicht und ist verunsichert. Manchmal wird es auch überheblich und verhält sich abwertend gegenüber den gleichaltrigen Kindern, da es nichts über die Andersartigkeit weiß.
Ebenso kann das besonders eloquente Sprachverhalten dazu führen, das hochbegabte Kinder nicht von gleichaltrigen verstanden werden. Das ist besonders in den frühen Kinderjahren zu beobachten. Durch die Fähigkeit sprachlich schon sehr früh komplexe Nebensätze zu bilden und durch einen deutlich größeren Wortschatz, sind hochbegabte Kinder schon sehr früh in der Lage zu diskutieren und zu argumentieren. Damit sind nicht hochbegabte Kinder oft überfordert und wenden sich nicht selten vom hochbegabten Kind ab.
Hochbegabte Kinder sind auch früher als andere Kinder in der Lage moralisch zu urteilen. So setzen sie sich schon früh mit philosophischen Fragen, Tod, Religion, Sinnlosigkeit von Kriegen etc. auseinander. Sie verfügen oft über ein sehr differenziertes Rechtsempfinden und suchen nicht selten nach der Logik und dem Sinn im Verhalten ihres Gegenübers bei Auseinandersetzungen mit Anderen. (Dieses Verhalten kann in allen Altersstufen bis ins Erwachsenenalter hinein beobachten.)
Besonders im Vorschulalter zeigt sich, dass hochbegabte Kinder oft eine sehr enge Bindung zu ihren Müttern haben, da diese oft die Einzigen sind, die sie begreifen und sich in ihr Kind einfühlen können und wollen. Gerade dann, wenn die Gegensätze von intellektueller Reife und Unsicherheit sowie Gefühlsausbrüchen sich gegenüberstehen und für andere schwer nachzuvollziehen sind.
Häufigkeit von asynchronen Entwicklungen
Asynchronien führen nicht immer zu Entwicklungsschwierigkeiten. Dieses ist sehr individuell und hängt zum einen von den Persönlichkeitsmerkmalen des Kindes ab und von Umgang des nahen Umfeldes.
Manchmal sind es auch keine Asynchronien, sondern Entwicklungsdefizite wie LRS oder Aufmerksamkeitsstörungen. Dieses ist recht schwierig zu analysieren, denn es ist nicht immer klar ersichtlich, ob die Hochbegabung das Problem bedingt oder verschärft. Daher sollten bei einer Diagnostik, die intellektuellen Fähigkeiten immer beachtet werden.
Stärkere Auffälligkeiten sind oft bei Jungen zu beobachten, da Mädchen im Vergleich zu ihnen eine beschleunigte Entwicklung haben. Hinzu kommt, dass viele Mädchen mehr darauf bedacht sind sich der Gruppe anzupassen und es ihnen auch leichter gelingt.
Wenn asynchrone Entwicklung auffällt:
- Erstelle ein Stärken / Schwächen Profil
- Notiere kritische Situationen, in denen Schwächen deutlich werden
- Nutze die Ressourcen deines Kindes, um das Förderziel eine Fähigkeit zu erlernen, auch erreichen zu können
- Fördere die Ressourcen deines Kindes
- Zeige deinem Kind, wie es seine Stärken nutzen kann, um Schwächen auszugleichen
- Vermeide es, die Schwächen deines Kindes mit kritischen Situationen zu verbinden
- Stelle deinem Kind Entfaltungsmöglichkeiten für seine starken Bereiche zur Verfügung
- Nutze die Stärken und Ressourcen deines Kindes, um kritische Situationen zu meistern
- Biete deinem Kind in schwächeren Bereichen Hilfestellung an und nutze dazu auch Förderangebote von außen
Was tun bei asynchroner Entwicklung?
Zeige deinem Kind, dass es Fähigkeiten durch Übung verbessern kann. Vielleicht lernst auch du gerade etwas Neues nutze diese Gelegenheit deinem Kind den Lernprozess sichtbar zu machen.
Rede mit deinem Kind über Erfolge und über Dinge die es schon gelernt hat und frag es, wie es das geschafft hat.
Hol Dir Unterstützung von Experten und anderen Eltern!
Überlege gemeinsam mit deinem Kind wie es mit Spaß und an seinen Interessen, seine Feinmotorik üben kann. Mache ihm aber auch begreiflich, das Üben mühsam ist und Ausdauer und Durchhaltevermögen benötigt.
Gibt deinem Kind die Sicherheit, dass es ok ist, so wie es ist!
Positive Rückmeldungen sind wichtig besonders über individuelle Erfolge von weniger gut ausgeprägten Fähigkeiten. Du reduzierst dadurch die Angst deines Kindes jemanden bei Versagen zu enttäuschen. Das Kind lernt, das Üben positiv bewertet wird und dadurch stellen sich persönliche Erfolge immer öfter ein.
Finde eine Balance zwischen Freiraum und Aufmerksamkeit für dein Kind
Nimm die Meinungen und Ansichten deines Kindes respektvoll wahr. Verdeutliche ihm aber auch, dass diese nicht immer mit denen von Erwachsenen oder anderen Kindern übereinstimmen. Dein Kind lernt so, dass es Unterschiede gibt.
Beziehe dein Kind in das ausgestalten von Regeln mit ein und erkläre ihm die Notwendigkeit und Wichtigkeit dieser für das Zusammenleben mit Anderen. So lernt Dein Kind einen wichtigen Aspekt von Sinnhaftigkeit und fühlt sich ernst genommen.
Hier einige praktische Beispiele dafür, wenn dein sprachlich hochbegabtes Kind feinmotorische Schwächen aufweist:
- Malt oder bastelt etwas für einen Freund oder eine Freundin – meist sind Kinder intrinsischer motiviert, wenn sie lieben Menschen etwas Gutes tun können.
- Zeichnet eine Bildergeschichte und erzählt euch eine Geschichte dazu (diese könnt ihr auch aufnehmen)
- Beschafft euch Themenbezogene Bilderbücher über Fehler oder Kinder, die etwas nicht können aber nicht aufgeben. (Puffel darf Fehler machen, Geniale Fehler, Alles echt wahr, Vielleicht)
Sprich mit anderen Bezugspersonen (Lehrkraft, Erzieher*in) über die Schwierigkeiten deines Kindes. Teile ihnen deine Sorgen mit und die Hilflosigkeit deines Kindes mit. Einen Leitfaden für Lehrergespräche findest du hier:
Wenn du dir noch mehr Hilfestellung im Umgang mit deinem hochbegabten Kind wünschst, dann ist bestimmt der SENG-Elternkreis für dich interessant. Hier findest du Austausch mit Gleichgesinnten und fachliche Expertise für all deine Fragen und Probleme.
Alles Liebe für dich und dein hochbegabtes Kind wünscht dir
Bianka