Hochbegabte Mädchen
Fluch oder Segen?
Autorin: Charlotte Kröger – 15 Jahre
Als ich zuerst angesprochen wurde diesen Artikel zu verfassen, war ich zunächst eher unsicher, ob ich die Richtige dafür bin. Ich konnte mich nie wirklich gut mit dem Bild der „typisch Hochbegabten“ identifizieren, welches ich mir über die Jahre gemacht habe, und hatte nicht die Auffassung, dass meine Erfahrungen besonders teilenswert seien. Wahrscheinlich kommt das daher, dass ich, wenn ich an Hochbegabung denke, häufig eher negative Assoziationen habe, wie zum Beispiel Probleme in der Schule, Under-achievement oder Probleme sozial Anschluss zu finden. Nun hatte ich solche Erfahrungen zum Glück kaum, aber nach ein bisschen Recherche und einem Gespräch mit meiner Mutter ist mir klar geworden, dass meine Erfahrung vollkommen normal ist und dem Großteil der hochbegabten Kinder entspricht. Mit dieser „neuen“ Perspektive möchte ich nun auf meine Erfahrungen als hochbegabtes Mädchen eingehen.
hochbegabte Mädchen vs. hochbegabte Jungen
Wenn man mit Leuten über Hochbegabung spricht, die noch nicht viel Kontakt mit dem Thema hatten, sind die ersten Assoziationen oft bekannte „Genies“ wie zum Beispiel Albert Einstein, Stephen Hawking oder Leonardo da Vinci. Der erste Gedanke geht also häufig erst zu Männern und das spiegelt sich auch unter Hochbegabten wider, da bei Mädchen eine Hochbegabung viel seltener identifiziert wird als bei Jungen.
Auch in der DGhK sind bei vielen Veranstaltungen hochbegabte Mädchen meistens in der Unterzahl. Ein gutes Beispiel dafür ist das Familienwochenende in Sundern, welches ich schon seit mehreren Jahren besuche und wo ich anfangs als Mädchen in meinem Alter komplett alleine war. Obwohl später noch ein Mädchen dazu gestoßen ist, sind wir trotzdem nur zwei Mädchen und neun Jungen. Dieser große Unterschied in der Identifizierung von hochbegabten Mädchen zu hochbegabten Jungen hat aber einen Grund. Hochbegabten Mädchen fällt es häufig leichter sich an ihre Umgebung anzupassen und sie sind oft mehr darum bemüht nicht aufzufallen – im Gegensatz zu Jungen, welche viel öfter Verhaltens-auffälligkeiten zeigen, als Reaktion auf eine mögliche Unterforderung.
Merkmale hochbegater Mädchen
Das heißt allerdings nicht, dass es Mädchen so viel einfacher haben. Auch wenn diese vielleicht nicht laut auf sich aufmerksam machen, klagen sie stärker über psycho-somatische Beschwerden. Dieser Unterschied ist mir persönlich sehr klar geworden, als ich meine bisherige Schullaufbahn mit der meines Zwillingsbruders verglichen habe. Wir haben beide schon Erfahrungen mit Unterforderung in der Schule gemacht, allerdings hatten wir sehr unterschiedliche Reaktionen. Bei mir zeigte sich die Unterforderung durch psychosomatische Bauch- und Kopfschmerzen, aber keine Verschlechterung meiner Noten oder auffälliges Verhalten im Unterricht. Bei meinem Bruder passierte eher das Gegenteil. Er wurde auffällig im Unterricht und seine Noten verschlechterten sich. Das ist nur ein Beispiel, wie sich die Unterschiede zwischen hochbegabten Jungen und Mädchen im Leben bzw. in der Schule zeigen. Zusätzlich ist es für hochbegabte Mädchen schwerer, gefördert zu werden, erstens, weil viele hochbegabte Mädchen nicht erkannt werden und dadurch nie für Förderung in Betracht gezogen werden, und zweitens, weil viele hoch-begabte Mädchen sich lieber anpassen anstatt herauszustechen.
Hochbegabte Mädchen und Schule
Außerdem habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass es wahrscheinlicher ist, dass sich eine Lehrerin um die Förderung eines hochbegabten Mädchens bemüht, als ein Lehrer. Meine damalige Physik- und Mathelehrerin hat sich stets darum bemüht, mich zu fördern und mir die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die ich brauchte. Sie gab mir zum Beispiel die Möglichkeit an der Mathematik-Olympiade teilzunehmen und motivierte mich dazu, Physik im Advent zu machen und ihrer Physik-AG beizutreten. Dementsprechend war ich motiviert im Unterricht. Nach einem Lehrerwechsel wurde ich nicht weiter gefördert, weil er mich nicht erkannt hat. Als ich ihn auf die Verschlechterung meiner Noten ansprach sagte er, Physik würde mir einfach nicht liegen. Solche Erfahrungen habe ich hauptsächlich in MINT-Fächern gemacht, Fächer die von der Gesellschaft eher als männlich angesehen werden.
Hochbegabte Mädchen und Zukunftsängste
Auch wenn die Förderung von Mädchen im MINT-Bereich sich in den letzten Jahren deutlich vermehrt hat, habe ich persönlich das Gefühl, dass es eher darum geht, die fehlenden Stellen zu füllen anstatt wirklich begabte Mädchen zu fördern. Ich glaube, dass eine Frau in diesen von Männern dominierten Bereichen immer noch eine Ausnahme ist. Dies ist meiner Meinung nach der Misogynie bzw. dem Bild der Frau in der Gesellschaft zuzuschreiben, welches immer noch eine Frau eher als Sekretärin sieht, anstatt als Chefin einer Firma. Das hat auch zur Folge das viele hochbegabte Mädchen später im Leben mit Unterforderung zu kämpfen haben, weil es auch heute noch schwerer für eine Frau ist an die Spitze zu kommen als für einen Mann.
In einer idealen Welt müsste ich mir keine Sorgen darum machen, aber leider ist es besonders als hochbegabtes Mädchen sehr beunruhigend, sich eine Zukunft vorzustellen, in der man nicht ernstgenommen wird.
Text zuerst erschienen in: Labyrinth#143, September 2020, S. 12, Zeitschrift der DGhK, ISSN 0940-3175