Unterforderung bei Hochbegabung
Es ist keine Seltenheit, dass hochbegabte Kinder im Vorschulalter schon selbstmotiviert das Lesen und Rechnen selbst erlernen. Kommen diese Kinder dann in die Schule, können sie schon kleine Geschichten lesen und/oder sicher im 100er Raum rechnen. Natürlich ist es nicht förderlich, diese Kinder mit Zahlen von 1-10 rechnen zu lassen oder ihnen jeden Buchstaben einzeln beizubringen. Das dürfte jedem klar sein, dass dies diese Kinder erheblich unterfordert.
Während Mädchen eher dazu neigen, sich im Laufe der Zeit sich der Situation und den Gegebenheiten anzupassen, werden Jungen eher unruhig und fallen nicht selten als Klassenclown auf. Daraus entsteht, dass die frühe Begabung nicht mehr wahrgenommen werden kann. Eltern und Lehrkräfte aber auch Psychologen und andere Fachstellen denken dann häufig, das Kind wäre einfach früh entwickelt gewesen, aber nicht besonders begabt. Keinem fällt auf, dass sich das Kind aber aus Angst aufzufallen und ausgegrenzt zu werden, zurückgezogen und sich dem Niveau der Gleichaltrigen angepasst hat.
Mädchen und Jungen unterscheiden sich im Verhalten darin mit Stress umzugehen. Mädchen ziehen sich bei einer Unterforderung eher zurück, bekommen psychosomatische Beschwerden (z.B. Kopf- und Bauchschmerzen) zeigen ihren Stress in Autoaggressionen und leiden unter Schlafstörungen. Wobei Jungen eher unruhig, sich manchmal aggressiv zeigen gegenüber anderen oder wie oben bereits erwähnt den Klassenclown spielen.
Die Hausaufgabenzeit ist auch oft von oberflächlichem arbeiten, stöhnen, vermeiden und vielen Fehlern geprägt. Oft sind die Störungen im Unterricht so gravierend, dass der psychologische dienst oder auch anderweitige Beratungsstellen eingeschaltet werden müssen.
Ja, Unterforderung kann jede Menge Stresssymptome auslösen. Aber bevor ein Störungsverhalten angenommen wird, das im Kind begründet liegt, ist es erforderlich, die Situation anzupassen, um zu sehen, ob sich das Verhalten dann ändert.
Aber natürlich gibt es auch Mädchen und Jungen, die außerhalb dieser „Regel“ auffallen. Doch im folgendem findest Du eine Liste der häufigsten Symptome aufgrund von Unterforderung.
1. Anzeichen von Unterforderung
Nach kurzer Zeit
- Nachlassen der Arbeitsmotivation
- Minimalleistungen
- Konzentrations-abnahme und Flüchtigkeitsfehler bei einfachen Aufgaben
- Nachlassen der Selbstkontrolle
- Tagträumereien
- Motorische Unruhe
Nach längerer Zeit
- Verhaltens-auffälligkeiten wie Depression, aggressives oder clownhaftes Verhalten
- Schlafstörungen
- Verlust von Selbstvertrauen
- Psychosomatische Symptome: Häufiges Kranksein, Kopf- und Bauchschmerzen, Erbrechen
- Allergien, Asthma, Heuschnupfen, Tics (bis zu gelähmten Beinen)
- Selbstgespräche
- Leistungs-verweigerung
- Akute Schulunlust
- Gehäufte Verspätungen
- Überdurch-schnittlich häufige Unfälle
- Haare ausreißen, Wimpern ausreißen
- Extreme Rückenschmerzen
- Regression: Daumenlutschen, Fingerkauen, Einnässen, Einkoten, erhöhtes Anlehnungs-bedürfnis
Nach mehreren Jahren
- Antriebsarmut, erlernte Hilflosigkeit
- Leistungsdefizite in vielen Bereichen
- Neurotische und depressive Störungen zum Teil bis ins Erwachsenenalter
Wichtig: Aufgrund eines einzigen Symptoms kann nicht auf eine Unterforderung geschlossen werden. Es bedarf einer sorgfältigen Beobachtung und Abklärung. Überforderung und ADHS zeigen mitunter gleiche Symptome.
„Intelligenz braucht eine anregende Umwelt in der sie sich entwickeln und in spezifisches Wissen investiert werden kann“
Elsbeth Stern
2. Zone der nächsten Entwicklung
Es gibt hochbegabte Kinder, die man im Unterricht dabei erwischt, wie sie sich wegträumen, den Unterricht stören und teilweise sogar aggressives Verhalten zeigen. In diesem Fall sollte dringend neben anderen Stress Faktoren auch das Thema Unterforderung mit in Betracht gezogen werden. Denn wenn eine Unterforderung zu lange anhält und chronisch wird, kann es für dieses Kind gesundheitliche Folgen haben.
Voygowski hat sich mit der Zone der nächsten Entwicklung beschäftigt und das Modell oben im Bild entworfen. Hierauf ist zu sehen, dass die Anforderungen über den Fähigkeiten des Kindes der aktuellen Entwicklung liegen sollen, damit es motiviert aber mit leichter Anstrengung lernen kann.
Liegen die Anforderungen stetig sehr stark über diesen Fähigkeiten, so kann beim Kind die Sorge entstehen, es nicht zu schaffen und später wird aus dieser Sorge auch Angst. Denn ständige Überforderung löst ungemeinen Stress aus, der sich manifestiert. Diese entstandene Sorge bzw. Angst, wirkt sich natürlich wiederum erheblich auf die Leistungen und auf das emotionale Wohlbefinden aus.
Liegen die Anforderungen jedoch stetig unter den aktuellen Fähigkeiten des hochbegabten Kindes, kommt es zu den gleichen Symptomen. Das Kind sorgt sich, dass es sich nicht weiterentwickeln kann und keinen Lernfortschritt wahrnimmt. Es spürt erhebliche Langeweile. Es fühlt sich dann aber oft nicht richtig, da es sieht, wie sich andere Kinder für die Aufgaben anstrengen müssen. Es fängt an sich wegzuträumen oder mit dem Nachbarn zu quatschen.
Dadurch kommt es nicht selten auf Dauer zum Leistungsabfall, durch Flüchtigkeitsfehler oder weil das Kind die Aufgaben nur oberflächlich liest und bearbeitet. Das emotionale Wohlbefinden steht dann in zweifacher Weise unter einem enormen Stress. Einmal durch die stetige Langeweile und einmal durch die nichterbrachten Leistungen. Es entwickelt sich Angst oder im schlimmsten Fall sogar eine Schulphobie oder eine Depression.
Mit dem Learning Pit erkläre ich Dir, was im Lernprozess passiert, wenn Kinder chronisch unterfordert sind.
Einfach ist kompliziert
und
kompliziert ist einfach!
Nicole Gerecht von Uniquat
3. Was können Eltern tun?
Geht es Dir auch manchmal so, dass Du denkst: „Da kann ich gar nichts machen, ich bin ja nicht in der Schule, da müssen die Lehrkräfte ran?
Da spielen Dir Deine Gedanken einen Streich. Denn es ist nicht so, dass du als Elternteil keinen Handlungsspielraum hast. Denn was Dir jetzt bereits klar sein dürfte, bei Anzeichen einer Unterforderung besteht Handlungsbedarf!
Darum nimm als ersten Schritt Kontakt zur Klassenlehrkraft deines Kindes auf. Wenn Du Dich gut auf das Gespräch vorbereiten möchtest, dann hol Dir meine Tipps für Lehrergespräche.
Besprich mit der Lehrkraft, welche Sorgen du dir machst und worin sich deine Sorgen begründen. Wichtig ist hier auch die Einschätzung der Lehrerin oder des Lehrers zuzulassen. Denn manchmal sind Wahrnehmungen unterschiedlich, manchmal sind Verhaltensweisen in unterschiedlichen Kontexten auch unterschiedlich.
Kommst Du mit er Lehrkraft aber nicht auf einen Konsens, kannst Du Dich auch an eine Beratungsstelle wenden. Dies kann die Schulpsychologische Beratungsstelle sein oder auch die wie hier bei uns in NRW, die fachstelle für hochbegabten Förderung bei der zuständigen Bezirksregierung. Nach einer Analyse der aktuellen Situation und der Vorgeschichte kann dann mithilfe dieser Stelle ein gemeinsames Gespräch mit der Schule angebahnt werden. In diesem sollte über eine verstärkte individuelle Förderung, Überspringen einer Klassenstufe und auch außerschulische Fördermöglichkeiten diskutiert werden.
Außerschulische Fördermöglichkeiten könnt ihr auch als Eltern initiieren. Zum Beispiel kann ein Sommercamp auch besucht werden, wenn sich das Kind selbst bewirbt und nicht von einer Lehrkraft vorgeschlagen wird. Ebenso kann auch an Wettbewerben außerhalb von Schule teilgenommen werden. Mach Dich schlau. Wenn Du eine Liste mit allen möglichen Wettbewerben haben möchtest, um dir einen Überblick zu verschaffen, dann schreib mir eine E-Mail und ich schicke sie dir gerne zu.
Vorsicht ist geboten, dass Kind in der Familie unterzustimulieren aus Angst vor spätere Langeweile in der Schule.
„Wer ein Warum hat,
kann jedes Wie ertragen!“
Friedrich Nietzsche
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4. Was können Lehrkräfte tun bzw. was kann Schule leisten?
Zuallererst steht natürlich erst einmal die Annahme der Hochbegabung des Kindes. Denn nur mit einer annehmenden Haltung, können Förderungsprozesse in Gang gebracht werden. Dabei ist eine Förderung niemals an bestimmte Rahmenbedingungen gebunden und kann völlig individuell auf Schule, Lehrkraft und Kind angepasst werden.
Was jedoch wissenschaftlich belegt ist, je früher eine Förderung von besonderen Fähigkeiten einsetzt, desto besser kann sich diese entwickeln und zeigen. „Wenn Neugierde und Wissendurst positiv beantwortet werden, wenn der Einsatz eigener Fähigkeiten zum Erfolg führt, wird sich ein Kind eher in diese Richtung weiterentwickeln“ (Baudson & Preckel, 2013, S.81). Es geht hauptsächlich darum, zwischen Begabungen und Potenzialen des Kindes und den gegebenen Anforderungen und Angeboten eine Passung zu erreichen. Der Beziehungskontext ist hier als wichtigste Funktion zu erwähnen. Und direkt danach natürlich ein Ganzheitlicher Ansatz, damit das Kind seine emotionalen, sozialen und selbstregulativen Kompetenzen neben den der kognitiven Fähigkeiten im Gleichklang entwickeln kann.
„Stell dir nur nur vor, die Begabungen würden nicht gefördert. Was dann?“
Was Stagnation und zu wenig Herausforderung für das hochbegabte Kind bedeuten kann, habe ich ja oben schon ausführlich dargestellt. Aber was kannst Du als Lehrkraft nun konkret tun, um deinem Schützling Stress und erhöhte Langeweile zu ersparen.
Es gibt 2 Arten von Förderung, die entweder getrennt oder gemeinsam angeboten werden können. Das Enrichment (Anreicherung) und die Akzeleration (Beschleunigung). Hier in diesem Blogartikel werde ich nur einen Überblick dieser beiden Förderschwerpunkte aufzeigen. Aber du kannst natürlich jederzeit mehr darüber erfahren, entweder über eine persönliche Beratung oder über eine Teamfortbildung.
Als erstes möchte ich dir die Akzeleration vorstellen, die die Wirksamste Maßnahme in der Förderung von hochbegabten Kindern und Jugendlichen ist. Akzeleration umfasst „jede Maßnahme, die es einer Schülerin oder einem Schüler ermöglicht, den vorgesehenen Lehrplan oder Teile davon früher zu beginnen, zu beenden oder schneller zu passieren, als es teils üblich, teils gesetzlich vorgesehen ist“ (Heinbokel, 1996, S.1). Hierbei geht es nicht darum das Kind in seiner Entwicklung zu beschleunigen, denn Gras wächst auch hier nicht schneller, wenn man daran zieht. Nein, es geht darum Lerninhalte den Fähigkeiten der hochbegabten Kinder und Jugendlichen anzupassen. Siehe auch Lernen auf der Stufe der nächsten Entwicklung (Voygowski) weiter oben im Text.
Wichtig finde ich es noch zu erwähnen, dass gerade die frühe Einschulung sich als wirksamste Maßnahme herausgestellt hat in der Förderung von hochbegabten Kindern. Die Betonung liegt hier auf hochbegabten Kindern, denn für Kinder, die lediglich einen Entwicklungsvorsprung hatten, hat sich diese Maßnahme als unwirksam herausgestellt. Diese Kinder mussten in höheren Klassen oftmals eine Klassenstufe wiederholen. Darum ist eine Intelligenzabklärung vor solch einer Maßnahme anzuraten.
Das Enrichment ist ein weiteres wichtiges Prinzip in der Hochbegabtenförderung. Worum es hier allerdings nicht geht, ist ein Beschäftigungsangebot zur Überbrückung von Langeweile und Phasen in denen das hochbegabte Kind bereits fertig ist und wartet. Es handelt sich hier um eine Anreicherung der Lerninhalte, die den Interessen und den Lernbedürfnissen der hochbegabten Schüler und Schülerinnen entsprechen. Es gibt jede Menge gute Literatur mit inhaltlichen sowie didaktisch-methodischen angereicherten Angeboten, die den Kindern individuelle Herausforderungen bieten und sie dazu befähigt, das lösen von Problemen, kritisches Denken und metakognitive Strategien zu erlernen.
Tabelle: Beispiele für Hochbegabtenförderung durch Akzeleration und Enrichment (Baudson & Preckel, 2013, S. 84)
Als 3. Und letzte wichtige Maßnahme hat sich in den letzten Jahren das Mentoring herausgestellt.
„Ein Mentor ist ein Berater, ein Vertrauter, der einen Schüler unterstützt und fördert“ (Stapf, 2003, S.217). dabei ist es wichtig bestimmte Bedingungen zu verfolgen:
- Die Lehr- und Lernstile des Mentors und des Schülers bzw. der Schülerin stimmen überein
- Es besteht eine vertrauensvolle Bindung zwischen den beiden Personen (die manchmal ein Leben lang hält)
- Der Mentor, die Mentorin teilt die gleichen Interessen und Leidenschaften wie der Schützling
- Der Lebensstil beider ist sich ähnlich
- Die Beziehung wird als eine Basis auf Augenhöhe angesehen
Es gibt mittlerweile auch gute online Mentorenprogramme. Es lohnt sich danach zu forschen.
„Neugier ist ein verletzliches Pflänzchen,
das nicht nur Anregung
sondern vor allem Freiheit braucht!“
Albert Einstein
5. Herausforderungen gegen Unterforderung bei den Hausaufgaben
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